Kein Achtstundentag – und sicher ist die Stelle nur bis zur nächsten Wahl

21 Juli, 2007
Autor: red
Kategorie: Allgemein

Zwei Monate Praktikum im Berliner Büro „unseres“ Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) hat die ehemalige Ernestinum-Schülerin Anne Sander (22) gerade hinter sich gebracht. Die Politikstudentin beantwortete Bürgerbriefe, ordnete das Archiv, begleitete Edathy zu seinen Terminen und sah Angelika Merkel lachen. „Es war toll!“sagt sie. „Ich könnte so was ein Leben lang machen.“
Diese Euphorie ist auch den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern in Edathys Büro zu verdanken, die der interessierten Studentin schnell selbstständige Aufgaben überließen.
Im Handumdrehen war sie in teilweise ziemlich spezielle Forschungsarbeiten verwickelt, wenn es nämlich darum ging, die wöchentlich bis zu 20 Briefe und E-Mails von Bürgern aus dem Wahlkreis zu beantworten. „Ja, solche Briefe nimmt man sehr ernst!“, sagt sie. Oft handelt es sich um Anfragen zu aktuellen Themen wie zum Beispiel dem EU-Beitritt der Türkei, der Diskussion um die Verkürzung der Kindergeldzeit oder der Entwicklung von Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der europäischen Institutionen. Manche sagen nur ihre Meinung und manchmal auch geht es um so spezielle Dinge wie zum Beispiel die Wohnmobilsteuer. Anne Sander kennt sich im Moment recht gut damit aus…
„Das Ganze war wie eine Mischung aus intensivem Studieren und journalistischer Arbeit“, sagt sie. Wenn sich die Bürgerfragen weder mit Hilfe der vorhandenen Literatur noch aus dem Erfahrungsschatz der wissenschaftlichen Mitarbeiter beantworten ließen, mussten die speziellen Referenten der Fraktion befragt werden, bevor dann ein Entwurf entstehen konnte, der Edathy zur Genehmigung vorgelegt wurde. „Manchmal war ich abends so erschöpft, dass ich schon um neun Uhr ins Bett sank!“ So oft es ging, begleitete sie Sebastian Edathy auf seine Termine und hörte auch zwei seiner Reden an: „Ja, er ist wirklich ein toller Redner, da beneide ich ihn sehr, lässig und souverän, und alles hat er selbst geschrieben!“ Persönliche Gespräche zwischen Abgeordnetem und Praktikantin gab es aber kaum. „Dazu war überhaupt keine Zeit!“ Mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern aber konnte sie sich oft auch noch nach dem späten Feierabend unterhalten, und außerdem war sie auch keineswegs die einzige Praktikantin im Bundestag, sondern umgeben von Kommilitonen, mit denen sie abends das spannende, immer noch in Aufbruch und Erneuerung befindliche Berlin erkundete, Kreuzberg, Oranienburger Straße, Prenzlauer Berg. Mit den Kommilitonen auch rangelte sie um einen der unter Praktikanten äußerst begehrten Plätze in einer Fraktionssitzung. „Frau Merkel war gerade zu Gast, also, das war wirklich faszinierend, ganz anders, als wenn man sie durch die Fernsehkamera sieht.“ Sie habe stark und zugleich freundschaftlich gewirkt: „Sie konnte sogar lachen, wer hätte das gedacht…“
Ob der Beruf einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin im Politbüro aber ernsthaft etwas fürs Leben wäre? Anne Sander hat da doch Zweifel. „Mit einem Achtstundentag kommt man selten aus. Und Zukunftssicherheit gibt es auch nur bis zur nächsten Wahl.“
© Schaumburger Zeitung, 26.04.2006

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