“Ich krieg’ sie aber doch alle rum” – zaghafte Gehversuche im Schreiben
Rinteln (cok). In den verschiedensten Schule undüberhaupt mit den unterschiedlichsten Menschen schon hat Schriftsteller Nevfel Cumart aus Bamberg eine “Schreibwerkstatt” eröffnet. Diesmal war er wieder am Ernestinum und lud Schüler aus der 12. Jahrgangsstufe ein, phantasievolle Texte zu schreiben und zu lernen, wie man es gut machen kann.
“Das Schöne ist: Die Schüler arbeiten den ganzen Vormittag, aber sie empfinden es nicht als Arbeit”, sagt er. Im Deutsch-Leistungskurs von Lehrerin Josephine Kappes ging es darum, Figuren zu entwerfen und ihnen dann eine Geschichte zu widmen. Verschiedene spielerische Aufgaben führten dahin, dass am Ende alle eine kleine Erzählung geschrieben hatten. “Wenn man die Schüler packt, kann man ihr kreatives Potenzial freischalten.” Packen kann man sie in dieser Weise aber oft nur, wenn einige schultypische Umstände ausgeklammert werden. So verschwand die Lehrerin ziemlich bald aus dem Arbeitsraum, das Schreiben war jenseits einer Zensuren-Bewertung. Cumart verzichtet auf jede Art von Zwang: Niemand muss seine Texte vorlesen, es gibt keine Kritik am einzelnen Text. “Wir wissen, dass es sich um Rohfassungen handelt”, sagt er. “Es geht darum zu entdecken, dass man schreiben kann.”
Die Deutsch-Leistungskursler haben am Ende der “Schreibwerkstatt” zum Teil ziemlich lange Texte geschrieben, die auch sehr gerne angehört wurden. Wenn Nevfel Cumart dagegen an Hauptschulen auftaucht oder an Gesamtschulen in sozialen Brennpunkten, dann ist es schon bemerkenswert, wenn Kinder, die so gut wie nie freiwillig schreiben, auch nur fünf Sätze zu Papier bringen, ihre eigenen Sätze, auf die sie dann sehr stolz sind. “Ich krieg’ sie aber doch alle immer rum”, meint er. “Und für manche ist es der Beginn eines neues Selbstvertrauens.”
Das “kreative Schreiben”, die Entstehung von “Schreibwerkstätten” an Schulen, Volkshochschulen, Universitäten oder im privaten Kreis unter Jugendlichen und unter Erwachsenen, entstand Ende der siebziger Jahre, als auch der Versuch gemacht wurde, die Lehrpläne für das Fach Deutsch umzugestalten. “Schreiben kann jeder!”, so war der Titel eines Buches, das dafür plädierte, im Schreiben einen Bereich der Selbsterfahrung zu entdecken, der jedem zugänglich ist, wenn nur nicht Maßstäbe angelegt werden, die den einen Text ins Töpfchen, den anderen ins Kröpfchen befördern.
Seit fast 20 Jahren bietet der Schriftsteller Schülern diese Möglichkeit, indem er mit seinem Schreibwerkstatt-Angebot durch ganz Deutschland reist. Dabei erzählt er auch von seinem Leben als Autor, davon, dass ein einziges kleines Gedicht manchmal zwei Jahre brauchen kann, um endlich so dazustehen, wie er es will. Auch wenn er in den Schreibkursen keine harte Textkritik betreibt, so merken die Schreibenden oft schon beim Vorlesen und Zuhören, wo ein Text zu seinem Vorteil verändert werden könnte, was es ist, dass einen Leser packt.
Im normalen Schulalltag hat das “kreative Schreiben” leider keine so guten Entfaltungsmöglichkeiten. Der Zwang, an jeden der Texte einen Maßstab anzulegen, der schließlich zu einer Punktzahl für die Endnote im Fach führt, zerstört nur zu leicht genau das, was im freien Schreiben wachgerufen werden soll: Den Mut, Experimente zu machen. Umso schöner, dass die Friedrich-Bödecker-Stiftung und die niedersächsische VGH-Stiftung die zweitägige Schreibwerkstatt ermöglichten.
© Schaumburger Zeitung, 09.07.2007