“Sie pauken hier nicht für Pisa-Rangplätze”
Abiturentlassfeier am Gymnasium Ernestinum mit hohem Informations- und Unterhaltungswert
Rinteln (wm). Abifeiern waren jahrzehntelang ein steifes Zeremoniell mit Rednern, die “Fragen beantwortet haben, die niemand gestellt hat”, wie das Bürgermeister Karl-Heinz Buchhholz ironisch anmerkte. Dagegen hat sich die Abschlussfeier am Gymnasium Ernestinum im Lauf der Jahre zu einer ausgesprochen unterhaltsamen Veranstaltung entwickelt: Wenn Lehrer Papierflieger ins Publikum gleiten lassen, und spöttisch intonieren, die nächsten “Opfer”kämen bald, hat der neue Geist, die “Mischung aus Spaß und Ernst”, auch das Kollegium erfasst, wie Abiturient Jan Struckmeier den Schulalltag charakterisierte, den die Abiturienten jetzt hinter sich gelassen haben.
Maria Gascoigne und Jan Struckmeier zogen für ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler Bilanz der sieben Jahre: Es war eine Mischung aus Ernst und Spaß. Fotos: tol
Dass die Schüler leistungsbereit sind, aber trotzdem Spaß am Lernen haben wollen, darum drehte sich dann auch der Dialog zwischen Jan Struckmeier und Maria Gascoigne wie auch die gekonnten Persiflage der Theatergruppe auf die Zukunftsängste der Abiturienten: “Ich sage nur CO 2!” Gymnasialleiter Reinhold Lüthen bestätigte den Abiturienten, sie hätten zum Endspurt noch einmal richtig “rangeklotzt” und lobte all’ die Schülerinnen und Schüler, denen keine eins vor dem Komma gegönnt war (nämlich die Mehrheit), die es aber trotz aller Schwierigkeiten geschafft haben: “Sie pauken hier ja nicht fürPisa-Rangplätze.” Es wäre schon Zynismus, würde eine Schule nur auf die optimale Durchschnittsnote eines Jahrgangs schauen.
Bürgermeister Buchholz empfahl den Ex-Schülern, die in den sieben Jahren gewachsenen Freundschaften weiter zu pflegen, sein Kollege aus dem Auetal, Thomas Priemer versprach: “Geht in die Welt hinaus, kommt aber auch wieder zurück, ich halte euch bis dahin einen Bauplatz frei” – großer Applaus des Auditoriums.
Eberhard Schierschke, Abiturient des Jahrgangs 1957 und Oberstudiendirektor i.R., wünschte sich, dass 2057 “einer von ihnen hier steht – und der wird dann vermutlich so aussehen wie ich heute”. Schierschke machte mit ein paar Beispielen den gewaltigen Zeitsprung von 50 Jahren deutlich – da gab’s noch kein Farbfernsehen, durch Rinteln fuhr die Extertalbahn, die Russen hatten gerade ihren Sputnik in seine Umlaufbahn geschossen.
Lehrer Manfred König kombinierte pointiert Mathematik mit Zeitkritik und schaffte es mühelos, seinen Zuhörern verständlich zu machen, warum ohne Mathematik Brücken einstürzen und Kriege verloren gehen, wie schon das Beispiel des Thales von Milet zeige, der am 28. Mai des Jahres 585 v. Chr. den Lydern eine Sonnenfinsternis voraussagt hat – und auch, dass die nicht lange dauern würde. Das gegnerische Heer der Medern, ohne einen solch mathematisch gebildeten Berater, habe dagegen an einen Fluch der Götter geglaubt und die Waffen fallen lassen.
Und König gab den scheidenden Schülern einen Sinnspruch mit auf den Weg, wie man ihre aktuelle Situation nicht prägnanter hätte ausdrücken können: “Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher. Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.”
Und einen ganz besonderen Preisträger unter den vielen mit Schülerinnen und Schülern mit herausragenden Leistungen gab es auch: Kin Ovanesov, der mit minimalen Schulkenntnissen am Gymnasium antreten war – er beherrschte nicht einmal die Bruchrechnung – und das Ernestinum jetzt als mit Bester des Jahrgangs verlassen kann.
© Schaumburger Zeitung, 02.07.2007